Samstag, 7. Februar 2009

Über das Elend der Rechtsextremismusforschung und ihrer linken Rezeption

Im rechten Lager was Neues. In so etwa lässt sich die Beobachtung vieler SozialwissenschaftlerInnen und derer links-liberaler, respektive linksradikaler Kreise von einer antikapitalistischen Konnotation neonazistischer Programmatik und Agitation umschreiben. Bedingt durch eine gemeinsam geteilte Besorgnis, wie sich aber auch anhand ähnlicher Erklärungsversuche herausarbeiten lässt, verhalten sich Wissenschaft und Bewegungslinke in diesem Falle komplementär zu einander.

Während die einen sich darüber lauthals mokieren, dass die Nazis aus rein wahltagtischen Gründen ihre Themen besetzten und streitig machen würden, attestiert der Mainstream der (Poltik)-Wissenschaft, dem rechtsextremen Lager ein Wandel in wirtschaftspolitischen Fragen, in dessen Verlauf vermehrt auf antikapitalistische Topos gesetzt werden würde.

So berichtete die Taz in ihrer Ausgabe vom 21. Januar über eine quantitative Umfrage von dem Berliner Politikwissenschaftler Richard Stöss, in der festgestellt wurden war, dass 89% der Menschen im Bundesland Brandenburg, denen eine rechtsextreme Einstellung nachgewiesen werden konnte, sich als „kapitalismuskritisch“ bezeichnen würden. Für die Taz scheint dieses Ergebnis der letztendliche Beweise zu sein, dass die extreme Rechte in wirtschaftspolitischen Frage einen gänzlich neues Kurs eingeschlagen hat, der sie von der Nähe zum rechtskonservativen Bürgertum und der damit einhergehenden Parteinahme für ein „freies Unternehmertum“, bei gleichzeitiger Diskreditierung von Arbeitslosen als „Sozialschmarotzer“ weggeführt habe. Diese vermeintliche Metamorphose rechtsextremer Einstellungen bringt auch nochmal Stöss auf dem Punkt, wenn er mit den Worten zitiert wird: „Wir beobachten, dass antikapitalistische Einstellungen in der rechten Szene bereits seit einiger Zeit sehr weit verbreitet sind.“(1)

Stöss erbringt wiedermal eindrucksvoll den Beweis dafür, wie weit die Rechtsextremismusforschung davon entfernt ist, einen adäquaten Begriff vom Neonazismus zuhaben. Die Behauptung, dass es zu einer Neujustierung neonazistischer Ideologie gekommen sei, negiert oder erkennt nicht, dass es sich beim Nationalsozialismus, wie auch beim Neonazismus um eine antikapitalistische Rebellion handelt, die sich gegen die positiven Errungenschaften der bürgerlichen Gesellschaft richtet und ihrem Wesen nach immer für das Streben nach Liquidierung von jüdischem Leben steht. Der Nationalsozialismus, wie es gerne von weiten Teilen der Linken herausgestellt wird, ist hierbei auch nicht irgendwie identisch mit dem westlichen Materialismus, nicht ein beliebige Krisenbewältigung des Kapitals, sondern eine genuin deutsche. Uli Krug und Bernd Volkert haben dies wie folgt zusammen gefasst: "Der Nationalsozialismus erschien keineswegs mehr als Produkt einer deutschen Kollektivmentalität, der auch der Hass auf das „materialistische“ Amerika entspringt, sondern vielmehr als „irgendwie“ identisch mit dem westlichen Materialismus; er wurde semantisch übersetzt, zum Attribut der Herrschaft jener, die die Deutschen besiegten.“(2)
An dem dialektischen Verhältnis des antikapitalistischen Kapitalismus, das der nationalsozialistischen Ideologie innewohnt, scheitert die bürgerliche Poltikwissenschaft bei ihrer Erforschung des sogennanten Rechtsextremismus.

Bei der neuerdings auftretenden Artikulation eines sozialistischen und antiimperialistischen Programms seitens deutscher Neonazis handelt es sich um eine neue Akzentuierung ihrer Ideologie, gerade nicht um eine Neujustierung, die einher geht mit einer sich gewandelten Gelegenheitsstruktur für die Artikulation einer antiamerikanisch und antisemitisch daherkommenden Kapitalismuskritik in der politischen Kultur des postnazistischen Deutschlands. Die Etablierung einer personifizierten und staatsapologetischen Kapitalismusschelte in der Soziokultur der Gesellschaft, die gerade auf diejenigen Leute zurückgeführt werden kann, die sich am stärksten über den vermeintlichen Ideenklau der Nazis beschweren, namentlich u.a. weite Teile der No Global Bewegung, gab der neonazistischen Szene die Möglichkeit mit ihrem antiimperialistischen Weltbild auf der Höhe der Zeit zu sein.
(2) Vgl. Uli Krug/ Bernd Volkert: Vorkrieg I: Hate Letters to America, in: Thomas Uwer u.a. (Hg.) Amerika. Der War an terror und der Aufstand der Alten Welt. S. 153