Mittwoch, 26. November 2008

Carmen Everts und die deutschen Zustände. Was eine akademische Biographie über die politische Kultur verraten kann.

Viel wurde über den gescheiterten Versuch Andreas Ypsilantis geschrieben, eine rot-grüne Minderheitsregierung zuschustern, die ihre Mehrheiten in erster Linie durch eine lose Kooperation mit der Fraktion der Linken bekommen sollte. Wie es in den Annalen der hessischen Geschichte für jeden interessierten Menschen in Zukunft zu lesen sein wird, ist dieses Vorhaben an vier Abgeordneten gescheitert, die diesem Plan kurz vor dem anstehenden Wahlgang im Landtag die Unterstützung aufgekündigt haben. Die Suche nach den individuellen Gründen der Protagonisten erweckte das Interesse einiger Medien (u.a. spiegel online, taz) für die Dissertation von Carmen Everts, die sie im Jahre 2000 unter dem Titel „Politischer Extremismus. Theorie und Analyse am Beispiel der Parteien REP und PDS“ veröffentlicht hatte. Dort fabuliert sie in bester extremismustheoretischer Manier über einen demokratischen Minimalkonsens, von dem ausgehend sich eine sichere und trennscharfe Grenzziehung zwischen Parteien demokratischer und extremistischer Provenienz ziehen lassen könne.(1) Ihr letztendliches Nein zu einer indirekten Regierungsbeteiligung der Linken wurde deshalb in den Medien als wenig überraschend dargestellt, sieht sie doch den vielbeschworenen demokratischen Minimalkonsens durch die Programmatik und Agitation der damaligen PDS gefährdet.

Eine umfangreichere Kontextualisierung ihrer Dissertation blieb dabei aber aus. Dies verwundert insofern, als das Ihr „Doktorvater“ Eckhard Jesse, seines zeichens Professor für politische Systeme an der TU Chemnitz, zu den präsentesten Politikwissenschaftlern in medialen und politischen Diskussionen in Deutschland zählt.

Jesse, der als wichtigster Theoretiker des Extremismusbegriffs gilt, fällt kritischen BeobachterInnen vor allem durch seine notorische Verharmlosung der Verbreitung neonazitischer Ideologie in der BRD auf. Will mensch verstehen warum das so ist, muss sich der Konnotation des Extremismusbegriffs zugewendet werden. Komprimiert zusammengefasst geht es Jesse und Co darum herauszustellen, das sich die Gefahrenpotentiale für die Freiheitlich Demokratische Grundordnung auf beide Extreme gleichermaßen verteilen, diese aber, welche stets nur parteiförmig erfasst werden, keine wirkliche Gefahr für die Demokratie darstellen, da sie gemäß des antiextremistischen Konsens ein externalisiertes Dasein am Rande der Gesellschaft fristen. Dieser Konsens, wahlweise als antiextremisitsch oder demokratisch ausgegeben, ist der logischen Konsequenz die aus den Lehren über das Scheitern der Weimarer Republik gezogen wurden erwachsen, in der es keine verfassungsrechtlichen Abwehrmöglichkeiten gegenüber den beiden extremistischen Lagern gegeben hat. Diesem Deutungsmuster folgend, kann dem deutschen Bedürfnis nach einer Selbststilisierung zum Opfer des Nationalsozialismus genüge getan werden. Nicht die Tatsache, dass eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung einer Demokratie westlichen Zuschnitts die Zustimmung verweigert hat, ist für das Scheitern der Weimarer Republik verantwortlich, sondern eine kleine Schar von pathologisierten, auserhalb der Gesellschaft stehenden Extremisten. Die gegenwärtige Betonung der Extremismusforschung, dass den Gefahren des Linksextremismus gegenüber den des Rechtsextremismus weniger Beachtung gescheckt werden , erhöht die Plausibilität dieser Volksapologie.

Daher verwundert es keineswegs, dass Eckhard Jesse sich immer wieder für eine Historisierung des Nationalsozialismus stark macht(2) und dass seine Darstellung der Deutschen als erste Opfer des NS nicht ohne (sekundär) antisemitische Ressentiments auskommt. So schreibt er in seinem Aufsatz Philosemitismus, Antisemitismus und Anti-Antisemitismus. Vergangenheitsbewältigung und Tabus, der sich in dem von ihm unter anderem herausgegebenen Sammelband Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus befindet, dass jüdische Organisationen Antisemitismus in einer gewissen Größenordnung brauchen würden, um ihrer Interessen durchzusetzen, dass Antisemitismus nicht zuletzt auf das Verhalten einiger Repräsentanten des Judentums zurück zuführen sei und klagt den „straken jüdischen Einfluss in den USA" an.(3)

An und für sich könnte mensch annehmen, dass es für eine Sozialdemokratin selbstverständlich sein sollte nicht bei einem Antisemiten zu promovieren und an der Reproduktion eines Deutungsmusters mitzuwirken, dass zwangsläufig (sekundär) antisemitische Ressentiments bedient. Dies wäre aber nur dann verwunderlich, gäbe es in der BRD einen wirklich bestehenden Konsens dahingehend, Antisemiten nicht wiederstandlos agitieren und wissenschaftlich arbeiten zulassen. Die gesellschaftliche Reputation Eckhard Jesses weist auf das Gegenteil.(4)

(1) Vgl. Everts, S 77.
(2) Uwe Backes/Eckhard Jesse/Rainer Zitelmann (Hg.) (1990) Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus.
(3) Vgl. Jesse (1990) S. 545 f.
(4) Jesse kommt die Deutungshoheit über den Extremismusbegriff in der BRD zu. Er war nicht nur geladener Sachverständiger des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen des anvisierten NPD Verbotsverfahren, beriet bei gleichem Thema die rot-grüne Bundesregierung und ist einer der wichtigsten „Hausautoren“ der Bundeszentrale für politischen Bildung.

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